Mit der Bahn zum Klettern: Von Bayreuth zum Student ins Pegnitztal

Frankenjura.com - 21.04.22

Im vergangenen Herbst begleiteten wir Sofie Paulus und Tino Schneidewind auf einem etwas anderen Kletterausflug in den Frankenjura, denn deren Anreise zum Fels erfolgte entgegen Kletterszene-typischer Gepflogenheiten mit der Bahn. Die Protagonisten unserer Reportage gelten als Vorreiter eines umweltfreundlichen Natursports. Die Reportage wurde unterstützt durch den Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN).

Zu dieser Geschichte gibt es auch eine Galerie mit 30 Bildern, die hier zu finden ist.

Sofie Paulus holt sich den vermutlich ersten Eco-Point der Route Simon am Student. Im Hintergrund rattert die Regionalbahn durch das Pegnitztal.Sofie Paulus holt sich den vermutlich ersten Eco-Point der Route Simon am Student. Im Hintergrund rattert die Regionalbahn durch das Pegnitztal.

Früh morgens um Viertel nach acht treffen sich an einem Samstag im Herbst Sofie Paulus und Tino Schneidewind zum Start in einen Klettertag. Treffpunkt ist der Hauptbahnhof Bayreuth. Tino und Sofie wollen zum Kletterfelsen Student 01 - Talseite ins Obere Pegnitztal. Während es in der Kletterszene üblich ist, mit dem Auto an die Felsen des Frankenjuras zu fahren, wollen die beiden die 60 Kilometer lange Strecke dorthin am Anfang mit öffentlichen Verkehrsmitteln und schließlich die letzten Kilometer zu Fuß bewältigen.

Sofie hat sich an der 35 Meter hohen sonnigen Südwand über dem Pegnitztal ein Ziel gesteckt. Sie möchte die Route Simon, erstbegangen im Jahr 1987, frei klettern. Die Route ist mit dem Schwierigkeitsgrad 10- bewertet, zählt zu den frühen Routen der Sportklettergeschichte in diesem Schwierigkeitsgrad und hat damit Kultstatus. Sofie hat Tino gefragt, ob er mitkommt und mit ihr gemeinsam die Tour projektieren möchte. Tino war dabei.

Die beiden haben sich in einer Bayreuther Kletterhalle kennengelernt, in der Tino auch jobbt und Routen schraubt. Der 22-jährige kommt eigentlich nicht aus Franken, sondern aus Berlin. Ihn hat der Studiengang Geoökologie nach Bayreuth verschlagen. Der Wetterbericht hat für diesen Samstag im Oktober einen sehr sonnigen Herbsttag vorhergesagt, der allerdings etwas nebelig beginnen soll. Nebel am Morgen ist für Bayreuth nichts Ungewöhnliches, so auch an diesem Samstag.

Mit dem „VGN Tagesticket Plus“ ins Pegnitztal

Das Kletter-Duo holt sich in der App VGN Ticket & Fahrplan ein sogenanntes „TagesTicket plus“. Das kostet 21,50 Euro und ist so etwas wie der Vorzeige-Fahrschein des Verkehrsverbunds im Großraum Nürnberg. Man kann es zu sechst (zwei Erwachsene über 18 Jahre) nutzen und es gilt für unbeschränkt viele Fahrten an beiden Wochenendtagen.

Um 8:29 Uhr verlässt der Regionalexpress 30 den Hauptbahnhof Bayreuth in Richtung Nürnberg. Der Zug ist gut gefüllt mit Wanderern und anderen Ausflüglern, aber die beiden bekommen auch ohne Reservierung einen Sitzplatz. Jetzt ist Zeit für ein kleines Frühstück, Sofie hat Muffins gebacken. Nach 25 Minuten erreichen sie das Umsteigeziel, den Bahnhof Neuhaus an der Pegnitz. Sieben Minuten Umstiegszeit, genau richtig, um ohne Eile die Regionalbahn 30 zu erreichen. Sie startet um 9:01 Uhr ins Pegnitztal und wird schon sechs Minuten später in den Bahnhof Rupprechtstegen einrollen.

Leitfigur in Sachen Klettern und Klima

Sofie Paulus ist in der hiesigen Kletterszene eine Leitfigur und auch über Franken hinaus bekannt. Sie stammt aus Coburg, ihre Kletterkarriere startete bereits in den Kinderjahren. Die 25-Jährige war als Teenager Mitglied des „Frankenkaders“, in dem besonders talentierte Nachwuchskletterer Nordbayerns – wie zu dieser Zeit auch Alexander Megos - gezielt trainiert werden. Inzwischen kletterte Sofie einige Routen bis hin zum unteren elften UIAA- Grad. Abseits des Kletterns studiert die Coburgerin Global Change Economy in Bayreuth. Das ist ein Studiengang, der sich mit Auswirkungen globaler Umweltveränderungen auf die Gesellschaft beschäftigt.

Nebel und kein Ende

„Eigentlich sollte sich der Hochnebel mittlerweile gelichtet haben“, wirft Sofie ein, während der Zug den Tunnel durch den Roten Fels im engen Teil des Pegnitztals nimmt - der Nebel aber immer dichter wird. Tino bleibt optimistisch: „Wird schon! Wenn wir am Fels sind, haben wir Sonne.“ Und legt sich weiter fest: „Das wird ein klasse Tag!“ Wenige Minuten später erreicht die Bahn den Bahnhof von Rupprechtstegen, die Endstation von Sofie und Tino. Die knapp vier Kilometer über die Harnbachmühle und Enzendorf zum Kletterfels führen auf einem breiten Wanderweg entlang an der Pegnitz.

Aber anstatt erster Sonnenstrahlen bleibt auf der Wanderung der Nebel weiter dicht. Noch schlimmer: Jetzt nieselt es sogar leicht! Für den Fall, dass der Nebel bleibt und die Sonne sich nicht durchsetzen kann, erwarten die beiden Temperaturen von knapp über dem Gefrierpunkt. Bei Sonnenschein dagegen wären es knapp 15 Grad in der Sonne und brottrocken, ideal für eine schwere Rotpunktbegehung. Tino versucht die leicht bedrückte Stimmung aufzuhellen und betont, dass er sich absolut sicher ist. Sofie möchte es glauben, während die beiden die letzte markante Biegung des Wanderweges nehmen und direkt auf den Fels zusteuern. Immerhin ist der Fels trocken und der Nieselregen hat schnell wieder nachgelassen, so dass Griffe und Tritte gute Reibungseigenschaften versprechen.

Der Wanderweg durch das Pegnitztal führt direkt am Student vorbeiDer Wanderweg durch das Pegnitztal führt direkt am Student vorbei

Der Eco-Point

Nicht nur berufsbedingt liegen Sofie Natur und Klima am Herzen und lässt sie eine Diskrepanz zwischen der Naturverbundenheit von Kletterern einerseits und der Ökobilanz ihrer Sportart andererseits wahrnehmen. Klettern sei mehr Motorsport denn Natursport, analysiert Sofie, und stellt damit die Einordnung des Felskletterns als eine Natursportart in Frage, solange dies mit Autofahrten verbunden sei.

Gemeinsam mit der Allgäuerin Lena-Marie Müller versucht Sofie deshalb einen neuen, zeitgemäßen Kletterstil in der Kletterszene zu etablieren. Der Eco-Point sei derzeit zwar nicht eindeutig mit einer Farbe verbunden, wohl aber durch eine klare Definition. Die An- und Abreise zum Fels muss umweltschonend vonstatten gehen, wenn eine Route frei durchstiegen wird. Also zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Endlich Sonne!

Sofie und Tino erreichen den Fels um kurz nach 10:00 Uhr. Bisher sind keine weiteren Kletterer am Fels. Kein Wunder, in den Bäumen hängt noch Reif, und die letzten Meter zum Wandfuß erinnern an einen dieser Klettertage, die von morgens bis abends trüb bleiben. Zur falschen Zeit am falschen Ort? Hat der Wetterbericht sich vertan und ausgerechnet dieser Fleck im Frankenjura bleibt heute nasskalt bis winterlich? Angetrieben von Tinos Sonnen-Optimismus wärmt sich Sofie in Mens aegrota in corpore sano (8-) fast ganz links in der Talseite als Erste auf. Tino folgt. Nun steigt Sofie in ihr Projekt ein, um sich einzelne Griff- und Trittfolgen einzuprägen und um die Zwischenhaken der Tour mit Expressschlingen zu präparieren.

Und plötzlich, wie aus dem Nichts und mit anderthalb Stunden Verspätung, bricht die Sonne kurz nach zwölf doch noch durch die Nebeldecke! Innerhalb von Minuten erobert sie den gesamten Himmel und färbt diesen in ein sattes Blau. Tino grinst, aber sagt nichts. Mittlerweile ist eine weitere Stunde vergangen, Tino hat im Simon ebenfalls erste Züge ausgecheckt und Sofie ist startklar für den ersten Durchstiegsversuch.

Sofie punktet, die Regionalbahn rattert

Spielerisch und leichtfüßig klettert die 25-Jährige über die ersten fünf Zwischensicherungen zur Schlüsselstelle, die ihr dann aber volle Konzentration abverlangen. Die nach 35 Jahren Klettersport scheinbar marmorisierten Schlüsselgriffe muss Sofie aufstellen, Körperspannung aufbauen und sich dazu noch ziemlich strecken, dann ist die gute Leiste zum „Clippen“ des sechsten Hakens erreicht. Im letzten Fünf-Meter-Runout in oberen achten Grad geht sie fokussiert zu Werke, aber gefordert wirkt Sofie auf diesem Teilstück der Route nicht mehr. Clipp - der Eco-Point ist im Sack. Im Tal rattert und hupt die Regionalbahn, als freue sie sich.

Die Sonne und die Aussicht auf die vielleicht letzten schönen Klettertage des Jahres haben mittlerweile drei weitere Seilschaften an den Fels gelockt. Darunter sind Floyd und seine Freundin Sophie. Tino und Sofie, Sophie und Floyd kennen sich aus Bayreuth und treffen sich gelegentlich in der Boulderhalle.

Sofie und Tino warten auf den Zug in Rupprechtstegen, der die beiden zurück nach Bayreuth bringtSofie und Tino warten auf den Zug in Rupprechtstegen, der die beiden zurück nach Bayreuth bringt

Effizienz kontra Klimaschutz

In einer Pause verteilt Sofie Muffins und es kommt zum gemütlichen Plausch in der Sonne. Floyd zeigt sich beeindruckt von Tinos und Sofies Unternehmung und will wissen, wie lange Tino und Sofie zum Fels gebraucht haben: 40 Minuten im Zug und beim Umsteigen sowie weitere 40 Minuten beim Wandern! Floyd wertschätzt die Unternehmung, ergänzt aber, das große Manko daran sei der deutlich erhöhte Zeitaufwand, der schlecht in die schnelle Taktung unserer Zeit passe.

Sofie entgegnet, die Eco-Anreise bringe aus ökonomischer Sicht für den Kletterer selbst zurzeit gewisse Nachteile, belaste aber dafür das Klima nicht. Und wirft die Frage auf, ob nicht die Perspektive der reinen Effizienz überdacht werden sollte in einer vermeintlich naturnahen und naturfreundlichen Sportart. Denn gerade um diese Natursportarten weiterhin genießen zu können, sollten Nachhaltigkeit und Klimaschutz mit einbezogen werden.

Und sobald der Fokus nicht mehr auf der Ökonomie, sondern auf der Gesamtzahl aller potentieller Erlebnisse liege, könne ein 40-minütiger Zustieg ein erheblicher Mehrwert sein. Darüber hinaus schaffe Entschleunigung Lebensqualität. Weil Sich-Zeit-Lassen hilfreich ist, Highlights und Ereignisse auf sich wirken zu lassen und verarbeiten zu können. Experience over outcome – Erlebnis vor Ergebnis sei das Motto!

Sofie hat Floyd zum Nachdenken gebracht. Der ist prinzipiell offen für den Selbstversuch: Heraus aus dem eingefahrenen, selbstverständlichen und nicht hinterfragten „Mit dem Auto zum Fels“ und hinein in ein ungewisses Abenteuer, das den inneren Schweinehund herausfordere. Umsetzbar sei das am ehesten am Wochenende, wenn ein ganzer Tag Zeit zum Klettern eingeplant sei und nicht nur wie an Werktagen wenige Stunden.

Kletter-Kino mit Muffins

Nach der Pause startet nun Tino einen Versuch in „Simon“, muss aber an der Schlüsselstelle passen. Er hat sich am Vortag beim Boulder-Schrauben in der Halle zu sehr verausgabt. Gegen Viertel nach drei, einer Genusstour im fünften und zwei weiteren 35-Meter-Linien im achten Grad packen die beiden ihre Sachen und machen sich auf den Rückweg. Das Klettern ist jetzt vorbei, aber der schöne Tag noch lange nicht. Da der Zug nach Neuhaus erst kurz vor fünf Uhr in Rupprechtstegen startet, können sich die beiden auf dem Rückweg sogar Zeit lassen.

Die erste Pause folgt schon nach wenigen hundert Metern auf einer sonnigen Bank, die einen guten Blick auf den Student bietet. Gerade startet ein anderer Kletterer zu einem Versuch in die Route Heiße Finger | Dieter Wallner Gedenkweg. Das sei jetzt wie Kino, freut sich Sofie. Ein Glück, dass noch zwei Muffins übrig sind! Nach fünf spannenden Minuten tropft der Aspirant an einem der letzten schweren Züge ab und fällt rund acht Meter ins Seil. Schade!

Entschleunigt zurück nach Bayreuth

Nachdem nun auch alle Muffins aufgegessen sind, geht es auf dem Wanderweg zurück, der nun herrlich in der Sonne liegt und deshalb kaum wiederzuerkennen ist. Bei Enzendorf riskieren die beiden einen Blick auf die Wandertafel und beschließen, an der Harnbachmühle noch einen kleinen Abstecher zum Harnbach-Wasserfall zu machen, den Sofie und Tino auf der Wanderkarte entdeckten und der nur wenige Fußminuten vom direkten Wanderweg entfernt liegt.

Dann geht es zurück zum Bahnhof in Rupprechtstegen und um 16:55 Uhr mit der Regionalbahn nach Neuhaus. Nach dem Umstieg in den Regionalexpress steigen die beiden eine halbe Stunde später geschafft von einem langen, erlebnisreichen Tag aus dem Zug am Bayreuther Hauptbahnhof. Mit im Gepäck: Sofies Eco-Point von „Simon“, eine schöne Wanderung, ein Wasserfall und eine entspannte Zugfahrt. Und bestimmt schon neue Ideen für weitere Eco-Points im Frankenjura.

© OpenStreetMap-Mitwirkende

Markante Stationen des Kletterausflugs von Sofie und Tino von Bayreuth zum Student. Ebenso wurde die Wanderstrecke der beiden als eigenständige Wanderung angelegt.



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